Zwischenlagerung ist keine Archivierung: Die fünf häufigsten Irrtümer bei der Systemstilllegung und Altdatenarchivierung

Emanuel Böminghaus, Legacy System Experte, Geschäftsführer AvenDATA

Emanuel Böminghaus

Legacy System Experte
Geschäftsführer AvenDATA
Wenn es im Rahmen einer Systemstilllegung zur Abschaltung von Anwendungen oder zur Auslagerung historischer Daten kommt, wird oft pragmatisch gehandelt: Man kopiert alles auf einen Server, sichert eine Datenbank oder speichert ein paar Ordner extern. Doch dieser Ansatz verkennt den entscheidenden Unterschied zwischen einfacher Ablage und einer rechtskonformen Archivierung.
Tatsächlich begegnet man in Unternehmen immer wieder denselben Missverständnissen im Zusammenhang mit der Archivierung von Altdaten im Zuge einer Systemstilllegung. Diese Irrtümer führen nicht nur zu rechtlichen Risiken, sondern auch zu langfristigen Problemen bei Datenzugriff, Prüfbarkeit und IT-Sicherheit. Hier sind die fünf häufigsten Fehleinschätzungen im Überblick:

Irrtum 1: „Ein Backup reicht doch aus“

Ein Backup dient der technischen Wiederherstellung im Notfall, nicht der langfristigen, revisionssicheren Aufbewahrung. Es ist zyklisch, überschreibt sich regelmäßig und ist nicht darauf ausgelegt, einzelne Informationen nachvollziehbar, unverändert und strukturiert über Jahre verfügbar zu halten.
Nach einer Systemstilllegung reicht ein Backup nicht aus, um Prüfanforderungen oder rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. Ein Archivsystem hingegen dokumentiert Zugriffe, schützt vor nachträglichen Änderungen und stellt sicher, dass Daten auch Jahre später noch lesbar, interpretierbar und verwendbar sind.

Irrtum 2: „Nur Datenbanken müssen archiviert werden“

Viele denken bei Archivierung nach einer Systemstilllegung ausschließlich an Datenbankinhalte – etwa Buchungssätze oder Kundenstammdaten. Doch das greift zu kurz. Auch unstrukturierte Inhalte wie E-Mails, PDFs, Word-Dokumente oder Excel-Dateien unterliegen Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten. Gerade in abgeschalteten Systemen sind diese häufig verteilt auf File-Shares, Netzlaufwerke oder lokale Archive.
Besonders in ERP-Systemen zeigt sich das Problem deutlich: Wird lediglich die Datenbank exportiert, fehlt jeglicher fachlicher Kontext. Die eigentliche Business-Logik – also die Prozesse, Regeln und Verknüpfungen, die den Daten ihre Bedeutung geben – geht durch die Systemstilllegung verloren. Ohne diese Logik ist ein Großteil der Daten weder nachvollziehbar noch prüfungstauglich.

Irrtum 3: „PDF ist automatisch revisionssicher“

PDF-Dokumente werden häufig als bequemes Archivformat genutzt. Doch ein PDF allein ist noch keine revisionssichere Archivierung. Entscheidend ist nicht das Format, sondern das Gesamtpaket: Wurde das Dokument manipulationssicher gespeichert? Ist der Zugriff dokumentiert? Gibt es ein geprüftes Löschkonzept?
Im Rahmen der Systemstilllegung sollte immer geprüft werden, ob solche Dokumente in ein geeignetes Archivsystem überführt wurden – nur so kann langfristige Rechtssicherheit gewährleistet werden.

Irrtum 4: „Wir sichern die Daten extern – das genügt“

Externe Festplatten oder Cloud-Speicher wirken auf den ersten Blick wie praktische Lösungen zur Datenaufbewahrung nach der Stilllegung eines Systems. Doch sie erfüllen in der Regel keine archivrechtlichen Standards. Ohne strukturierte Metadaten, Audit-Trails, Löschregeln und Zugriffskontrollen entsteht lediglich eine digitale Ablage – aber keine prüfungstaugliche Archivierung.
Auch datenschutzrechtlich ist diese Praxis problematisch, da personenbezogene Daten häufig ohne ausreichenden Schutz in nicht zertifizierten Umgebungen landen. Die Systemstilllegung darf nicht zur informellen Datenentsorgung werden.

Irrtum 5: „Solange noch jemand Zugriff hat, passt alles“

Nach einer Systemstilllegung gibt es häufig noch vereinzelt Zugriffsmöglichkeiten über alte Admin-Zugänge oder lokale Kopien. Doch das ersetzt keine strukturierte Archivlösung. Sobald das Personal wechselt, Software nicht mehr läuft oder die Hardware ausfällt, ist der Zugriff dauerhaft verloren – und mit ihm die Daten.
Archivierung bedeutet, Daten unabhängig vom Ursprungssystem langfristig verfügbar zu machen. Wer sich darauf verlässt, dass „es schon jemand öffnen kann“, riskiert im Ernstfall den Verlust prüfungsrelevanter Informationen.

Fazit: Systemstilllegung ist mehr als nur ein technischer Vorgang – sie braucht klare Archiv- und Löschkonzepte

Zwischenlagerung ist keine Archivierung. Besonders im Zusammenhang mit einer Systemstilllegung ist eine sorgfältige Planung entscheidend: Was wird noch benötigt, was darf gelöscht werden – und wie lassen sich Daten strukturiert, rechtskonform, revisionssicher und gleichzeitig löschbar archivieren?
Insbesondere ERP-Systeme zeigen, dass ohne die zugrunde liegende Anwendungslogik der fachliche Zusammenhang verlorengeht. Die reine Sicherung der Datenbank reicht nicht aus, um spätere Prüfungen, Auskünfte oder rechtliche Nachweise zu ermöglichen – und auch nicht, um personenbezogene Daten nach Ablauf ihrer Speicherfrist DSGVO-konform zu entfernen.
Archivierung ist kein Nebenschauplatz, sondern ein zentraler Bestandteil jeder Systemstilllegung – und die Voraussetzung dafür, dass Informationen auch in Zukunft genutzt, verstanden, und bei Bedarf rechtssicher gelöscht werden können.

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